LAUFEN & JOB - In Laufschuhen in die Charité

Sportmediziner und Elite-Läufer: PAUL SCHMIDT rennt 16 Kilometer zum Arbeitsplatz und kümmert sich dann um Patienten

Fitnessraum oder Reha-Zentrum? In der kleinen Halle in Haus 11 auf dem Charité- Gelände ist so etwas wie das Allerheiligste der Abteilung für Sportmedizin entstanden. Die interdisziplinäre Abteilung, zusammengeführt aus der Sportmedizin von Humboldt- Universität und Charité, ist die berufliche Heimat von Dr. Paul Schmidt. Laufbänder und Ergometer stehen bereit für den sportmedizinischen Check.
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»So viel Arztkontakt hat man normalerweise im ganzen Jahr nicht«, sagt Schmidt. Drei Stunden Zeit muss man sich nehmen, um den Check zu absolvieren, der 150 Euro kostet, mittlerweile von vielen Krankenkassen unterstützt und seit 2015 vom Gesetzgeber empfohlen wird. »Wir geben Tipps, bei welcher Herzfrequenz welches Tempo gelaufen werden sollte«, erläutert der Mediziner, der quasi als Nebeneffekt der aufwändigen Diagnostik auch strukturelle Herzerkrankungen herausfiltert. »Verhinderung des plötzlichen Herztods«, so lautet eines der Ziele in der Abteilung Sportmedizin. »Wir müssen schon ein paar hundert Leute screenen, um einen mit Herzfehler herauszufischen.« Viele Profis, die Eisbären, Fußballer, Volleyballer oder die Handball-Füchse schauen in seiner Abteilung vorbei, die von Prof. Dr. Bernd Wolfahrt, Sportmediziner und Olympiaarzt, geleitet wird.

PAUL SCHMIDT

32 Jahre, geboren in Dresden; Medizin-Studium in Dresden, Boston/Harvard und Zürich; Assistenzarzt an der Charité Berlin; Abteilung Sportmedizin unter Chefarzt Prof. Dr. Bernd Wolfahrt; Momentan in internistischer Facharztausbildung.

Tätigkeitsschwerpunkt
Betreuung von Leistungssportlern; Dozent an der Humboldt-Universität; Berufsziel: Habilitation im Bereich der Sportmedizin.

Größter
sportlicher Erfolg

Deutscher Rekord über 50 Kilometer in 2:49 Stunden, Berlin 2016.
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Wie verhält man sich bei starkem Muskelkater?
Schmidt: Verspürt man schon beim Training feste Muskeln, hilft ein Eisbad gegen die Schmerzen. Langfristig sind stoffwechselanregende Maßnahmen besser: Auslaufen, Wechselbäder, leichte Massage, Whirlpool. Bei Muskelkater sollte man nur lockere Läufe machen oder Alternativtraining wie Schwimmen und Radfahren.
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Schadet Laufen auf Asphalt den Gelenken?
Schmidt: Laufen ist grundsätzlich gut für Knorpel und Gelenke - insofern kein Beinachsenfehler oder Übergewicht vorliegt. Moderne Laufschuhe dämpfen harten Untergrund gut ab. Eher kann eine immer gleiche Trainingsstrecke zu Fehlbelastungen führen. Die Mischung macht es: Man sollte für Wettkampf auf Asphalt ja auch angepasst sein.

3
Sind Sprints und Intervalle eine gute Ergänzung?
Schmidt: Für erfahrene Wettkampfsportler ist Sprinttraining essentiell, um im Endspurt zu bestehen. Auch für Hobbysportler verbessert es die Laufökonomie durch Erhöhung der Sehnensteifigkeit. Leider ist insbesondere bei ungenügender Erwärmung das Verletzungsrisiko erhöht. Ich mache Sprints deshalb nur bergan.
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Vor dem Wettkampf: Welche Nahrung passt?
Schmidt: Darüber kann man ganze Bücher schreiben. Am besten ist sicher ein Getränk, vorzugsweise isotonisch und mit genügend Salz. Solch ein Getränk sollte man wie die Speisen vorher im Rahmen eines intensiven Trainings getestet haben und somit gut vertragen. Dann sollte es auch im Wettkampf klappen.
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Tempo im Training: Besser etwas langsamer?
Schmidt: Für einen Ultralauf trifft das zu, da hier das Wettkampftempo oft langsamer ist als das Trainingstempo. Es kommt aber auf die Mischung an. Im Rahmen einer sportmedizinischen Untersuchung kann ich für das Training Geschwindigkeiten und Methoden individuell anpassen und wertvolle Tipps geben.

Es werden Laktatwerte ermittelt oder Differenzialblutwerte analysiert. Aber auch professionelle Tänzer, von denen es in Berlin rund 2000 gibt, gehören zur Klientel - und natürlich Amateursportler aller Leistungsklassen. Es fallen fast bei jedem Patienten zumindest kleine Dinge auf. Da gibt’s dann Empfehlungen: »Und sei es nur der Hinweis, dass der Alkoholkonsum vielleicht doch ein bisschen zu hoch ist.« Oder jemand, der sich für vegetarische Ernährung entschieden hat, bekommt Tipps, wie er bei starker sportlicher Belastung Mangelerscheinungen vermeidet.
»ARTHROSE WIRD EHER SCHLIMMER DURCHS VIELE SITZEN ALS DURCHS LAUFEN«
Mauerläufer: Im Training an der Bernauer Straße.
Mauerläufer: Im Training an der Bernauer Straße.
Spricht der Mediziner Schmidt über sportlich aktive Menschen, ihre Wehwehchen oder chronischen Verletzungen, dann kann er auf eine zweite Expertise zurückgreifen, die er seit der Kindheit ausgebildet hat. Er wechselt fließend in die Rolle des Sportlers Schmidt. »Es ist natürlich von großem Vorteil, wenn man die Themen, Sorgen und Fragen von Leistungssportlern nachvollziehen kann, weil man selber auf hohem Niveau sportlich aktiv war und ist.«

»Auf hohem sportlichen Niveau« ist etwas untertrieben. Schmidt gehört zu den besten Läufern in Deutschland auf der Langdistanz. An der Wand im Check-up- Raum der Sportmedizin hängt ein sehr großes Bild. Es zeigt Schmidt bei einem seiner unzähligen Rennen. »Hier werden sie von einem Sport-Profi untersucht«, soll der Subtext wohl suggerieren. »Ich habe vielleicht ein bisschen Talent und könnte so gerade die EM-Norm laufen, aber mehr sicher nicht.«

Was fehlt denn dem Körper zur Chance auf eine Goldmedaille? »Keinerlei Achsenfehler sollte man haben«, sagt Schmidt. »Ich habe eine schiefe Wirbelsäule, damit geht’s schon los.« Und relativ schnell Sehnenansatzreizungen: »Wenn ich längere Zeit 180 Kilometer pro Woche laufe, kriege ich irgendwann eine Verletzung.« Davon hatte Schmidt einige, trotzdem läuft er aktuell 120 bis 150 Wochenkilometer. Darunter viele 20er Läufe, einmal in der Woche auch 30 Kilometer oder mehr. Schließlich steht am 29. April der erste Marathon des Jahres in Düsseldorf an, als Deutsche Meisterschaft. »Ich bin schon unter 2:20 Stunden gerannt, das möchte ich bestätigen.« Wollte der Mediziner drei Minuten schneller laufen, müsste er beim Training noch einmal eine ordentliche Schippe drauflegen. Will er aber nicht: »Als ambitionierter Leistungssportler lebe ich ja nicht davon«, ordnet er sein Läuferleben ein.
Prenzlauer Berg: Der Langläufer ist hier auch oft mit den Kraft Runners unterwegs
Prenzlauer Berg: Der Langläufer ist hier auch oft mit den Kraft Runners unterwegs
»Es gibt Profis, die auch mit einer Verletzung 180 Wochenkilometer trainieren, aber mir ist wichtig, dass ich die 16 Kilometer von meinem Wohnort zur Arbeit in Mitte laufen kann.« Ein halbes Jahr Verletzung wegen einer verdoppelten Wochenleistung? »Darauf kann ich gut verzichten.« In der Grundschule ist der kleine Paul zunächst Schwimmer - nicht erfolgreich, weil er eher schmächtig ist. »In der 5. Klasse bin ich zum Leichtathletiktraining gegangen und hab da sofort den Bezirksmeister beim Dauerlauftraining abgezogen.« Schmidt grinst schelmisch. Damit ist klar, dass Paul Läufer wird, obwohl er rund zehn Zentimeter kleiner ist als viele Konkurrenten. Er ist schon damals immer wieder verletzt, beginnt später mit dem Schwimmtraining für einen Triathlon.

»Ich hatte noch gar kein Rennrad, bin dann 2007 Deutscher Triathlon Amateurmeister geworden über die Olympische Distanz« (1,5 km Schwimmen, 40 km Rad, 10 km Laufen). Dann startete er 2008 für Dresden in der 1. Bundesliga. 2009 stieg Schmidt in den Marathon ein. Und gewann gleich sein erstes Rennen, den Dresden- Marathon.

Was ist der größte Erfolg bislang? Vor zwei Jahren trainierte er auf einen Marathon, schafft 200 Wochenkilometer. Dann kamen im März in Berlin-Plänterwald die Deutschen 50 Kilometer-Meisterschaften. »Bei dem Lauf ging es mir gut und ich habe mit deutschem Rekord in 2:49 Stunden gewonnen. « Als seine wertvollste Zeit nennt er allerdings die 64:58 Minuten beim Berliner Halbmarathon vor einigen Jahren.

»WENN ICH ABENDS ERST EINMAL AUF DER COUCH LIEGE, DANN RENNE ICH AUCH NICHT MEHR LOS«
LAUFEN & JOB - In Laufschuhen in die Charité Image 2
Würde er sich selbst als besonders ehrgeizig beschreiben? »Jein«, antwortet Dr. Schmidt etwas zögerlich. »Ich mache alles aus innerer Motivation heraus, aber bin bestimmt nicht krankhaft ehrgeizig.« Er geht als Student und auch als Läufer gerne auf Partys. »Ich bin eben vielfach interessiert, habe immer verschiedene Projekte und ein großes Gesamtziel, das ich erreichen will.« Absoluter Sportprofi zu sein, da gehören Talent, Charakter, Umstände und Glück dazu. »Bei mir war spätestens mit dem Medizinstudium klar, dass ich kein Profi werde.«

Jetzt steht die Koordination von Leistungssport und Beruf im Mittelpunkt. Zeitmanagement ist das Stichwort. Ein Großteil des Trainings ist in den normalen Tageslauf eingebaut: Vom Wohnort in Schildow am nördlichen Stadtrand Berlins geht es die 16 Kilometer zum Arbeitsplatz. In Laufschuhen und mit Rucksack, meistens auf Radwegen. »Der normale Radler fährt ungefähr mit 15 Stundenkilometern, von daher ist das das richtige Umfeld «, erzählt Schmidt von seinen Erfahrungen. Auf Fußwegen geht es dagegen bei diesem hohen Tempo vergleichsweise kompliziert voran: Fußgänger stehen oder kommen entgegen, oft muss man abbremsen, Hunde mit Hundeleinen sind Hindernisse, kleine Kinder unberechenbar. »Mich hat noch nie ein Radfahrer angeraunzt, aber die Polizei hat mich schon vom Radweg runtergepfiffen.«
Assistenzarzt und Dozent: Paul Schmidt in der Charité.
Assistenzarzt und Dozent: Paul Schmidt in der Charité.
Für Paul Schmidt wäre die tägliche Anoder Abreise mit Bus oder Bahn nicht viel schneller, denn damit braucht er pro Weg ebenfalls eine knappe Stunde. In Kombination mit dem Bike ist so ein »Berufsweg« sehr effektiv. Und wer nicht alle Strecken zur Arbeit joggen will, der kann ja auch weiterhin den ÖPNV nutzen. »Oder steigt auf dem Heimweg einfach einige Kilometer vor dem Ziel aus und läuft durch Parks bis zur eigenen Haustür«, rät er dem Normalsportler. »Heute wird man in der S-Bahn nicht mehr schief angeguckt, wenn man in Sportklamotten unterwegs ist.«

Abends in Schildow: An diesem miesen Berliner Spätwintertag ist Paul Schmidt ausnahmsweise mit dem Auto gefahren. Dafür geht’s gleich nach der Ankunft auf die Laufstrecke. »Wenn ich mich daheim erst einmal auf die Couch gelegt habe, dann renne ich auch nicht mehr los.« Da geht es dem Extremjogger wie jedem Freizeitläufer. »Man sollte die Laufaktivität aus der Tagesaktivität heraus organisieren.«

Also direkt nach der Arbeit. Oder morgens: »Richtig motiviert und diszipliniert bin ich, wenn ich mich mit Freunden verabrede. « Am Spreebogen. Oder am Saatwinkler Damm in Richtung Tegel: »Da kann man fünf oder sechs Kilometer geradeaus rennen auf einem Radweg ohne großen Autoverkehr.« Geduscht wird dann in der Charité. Wo die ersten Patienten schon bald vor der Tür stehen.
Andreas Mühl
FOTOS Max Menning

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